Menschsein heisst fremd sein. Das leuchtet gewiss nicht ohne weiteres ein. Viele Menschen fühlen sich nicht fremd. Im Verhältnis zu was?, würden sie fragen. Wie kann es sein, dass der Mensch wesentlich durch Fremdheit charakterisiert ist? Was heisst es überhaupt fremd zu sein?
Nicht Herr im eigenen Haus zu sein, lautet eine Antwort, die voraussetzt, dass das Dasein der Menschen sich als Zuhausesein beziehungsweise als Unheimlichkeit entfalten kann. Von Fremdheit zu reden, macht nur Sinn im Verhältnis zu etwas, das vertraulich ist. Fremdsein bedeutet nicht völlig unvertraulich mit etwas zu sein, sondern etwa unvertraulich, bis zu einem gewissen Grad, der Unsicherheit herbeiführt, und bedroht in einer gesteigerten Art von Unvertraulichkeit umzuschlagen.
Es gibt Graden von Fremdheit. Es ist schwierig sich vorzustellen, dass es Menschen gäbe, die überhaupt keine Art von Fremdheit erfahren haben. Es ist nicht sicher, dass sie die Fremdheitserfahrung artikulieren könnten, aber alle Menschen haben sicherlich irgendwann ein Erlebnis von Unzugehörigkeit oder Unzulänglichkeit gehabt, die eine gewisse Unvertraulichkeit entspricht; eine Unvertraulichkeit, die ein Bewusstsein von Endlichkeit erweckt, das nicht von dem ewig Vertraulichen beruhigt werden kann. Diese Unvertraulichkeit kann wieder weggehen, und somit geht auch die Erfahrung von Fremdheit anscheinend weg. Sie bleibt aber latent da, und ist im jeden Menschen mehr oder weniger wirksam.
Diejenige, die völlig ablehnen fremd zu sein, ähneln die Höhlenbewohner im berühmten Gleichnis Platons. Sie sind sich nicht bewusst, dass sie in einer Höhle leben, und verneinen deswegen, dass sie Höhlenbewohner sind. Sie glauben zu Hause zu sein, umgegeben von etwas, das sie kennen. Platon möchte aber sagen, dass es zwar so aussieht, aber eigentlich ist ihr Zuhausesein eine Schattenwelt, in der sie selbst Schatten sind, und in ihrer eigenen Schattensein gefangen sind. Es ist nicht einfach einen Weg aus der Höhle zu finden. Zunächst geht es für jeden Menschen darum, bewusst zu werden, dass er ein gefangener Schatten ist. Das ist der von Sokrates angedeuteten Weg, von dem er in Platons Dialogen mehrmals humorig spricht und sagt, dass er gegen Schatten kämpft und selbst ein Fremder in mitten dieser Schattenwelt ist.
Heute können wir, anstatt ein Gleichnis, eine andere Geschichte erzählen, die einigermassen realistischer ist: Wir Menschen kommen zur Welt ohne uns selbst noch unsere Umgebung zu kennen, und wir werden einmal weggehen, ohne das Universum, den Planet, auf den wir geboren sind, noch die Mehrheit von Ihren Einwohnern völlig kennen gelernt zu haben. Ist es nicht einfach so, dass wir Erdbewohner grundlegend uns selbst und unserer Mitmenschen fremd sind? Können Sie ihre Mitmenschen als genau so fremd anerkennen, wie Sie Ihnen selbst fremd sind? Der Schwedische Verfasser, Carl-Göran Ekerwald, spricht es in einem Gedicht, Xenos, das seinem Freund und dänischen Kollega Peter Seeberg gewidmet ist, folgendermassen aus: „Du bist mich ebenso fremd/ wie ich mich selbst fremd bin“.
Es könnte sein, wie Bernard Waldenfells es einmal formuliert hat, dass „jeder sei sich selbst auf anderer Weise fremd, als die Anderen ihm fremd sind“. Ich glaube aber, dass es für uns Menschen möglich ist, in einer „främlingsskap“ (einer Fremdheitschaft) einzugehen, wie Ekerwald sie nennt, in der wir unsere Fremdheit miteinander teilen und mitteilen. Dazu kommt meine Hoffnung, dass wenn die „främlingsskap“ die paradigmatische Relation zwischen den Menschen auf der Erde wird, dann werden wir nicht mehr einander bekriegen und ermordern, eben weil wir kein fixiertes, gegenständliches Bild von uns selbst noch von unseren Nächsten machen – du bist so oder so – sondern einander anerkennen wie wir sind, fremde Einwohner in unserer eigenen Ich-Haus, auf einem blaugrünen Planet in einem unendlichen Universum.
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